Kurz nach dem zwei­ten Welt­krieg ver­öf­fent­lich­te Fried­rich Dür­ren­matt sein Erst­lings-Dra­ma “Es steht geschrie­ben”, das er zwan­zig Jah­re spä­ter noch ein­mal unter dem Titel “Die Wie­der­täu­fer” über­ar­bei­te­te.
Im frei­en Umgang mit dem geschicht­li­chen Hin­ter­grund der Wie­der­täu­fer in Müns­ter fand Dür­ren­matt eine Hand­lungs­grund­la­ge für sei­ne Para­bel über die Leicht­gläu­big­keit und Ver­führ­bar­keit der Men­schen, hält eine Rezen­si­on fest. Der Pas­to­ren­sohn fand offen­sicht­lich im Dra­ma des kurz­le­bi­gen Täu­fer­reichs in Müns­ter einen idea­len Stoff, um sich mit Fra­gen christ­li­cher End­zeit­er­war­tun­gen und Abir­run­gen auseinanderzusetzen.

Erin­nern wir uns: Dank dem reli­giö­sen Erd­be­ben, das Mar­tin Luther mit sei­nem fron­ta­len Angriff auf die allein­se­lig­ma­chen­de Katho­li­sche Kir­che aus­lös­te, kam es im Deut­schen Reich zu einer grund­le­gen­den Aus­ein­an­der­set­zung nicht nur über den “rech­ten Glau­ben”, son­dern auch über die Berech­ti­gung der bestehen­den Gesell­schafts­ord­nung aus bibli­scher Sicht. Wäh­rend Luther sich, um das zar­te Pflänz­chen der refor­ma­to­ri­schen Bewe­gung zu ret­ten, mit der bestehen­den Gesell­schafts­hier­ar­chie arran­gier­te und die auf­stän­di­schen Bau­ern, die sich auf sei­ne Leh­re bezo­gen, dem Unter­gang preis­gab, kämpf­ten Mit­strei­ter wie Tho­mas Münt­zer für einen radi­ka­len Umbau, — ohne Erfolg: Im Mai 1525 wur­de er vor den Toren der Stadt Mühl­hau­sen ent­haup­tet, sein Leib auf­ge­spießt und sein Kopf auf einen Pfahl gesteckt.

Am radi­kals­ten war aller­dings eine klei­ne Gemein­schaft, die ihren Ursprung in der Eid­ge­nos­sen­schaft hat­te: die (Wieder)Täufer. Ihren Namen erhiel­ten sie dank ihrer Leh­re, dass die Kinds­tau­fe unbi­blisch und unchrist­lich sei, weil die Nach­fol­ge Jesu Chris­ti nur durch einen bewuss­ten Wil­lens­akt voll­zo­gen wer­den kön­ne. Ihr Bestre­ben ging dahin, erneut ein mög­lichst rei­nes Urchris­ten­tum zu leben, das z.B. auch die Güter­ge­mein­schaft mit ein­schloss. Mit die­ser Hal­tung zogen sie sich aller­dings den Bann­strahl sowohl der katho­li­schen und refor­mier­ten Theo­lo­gen als auch der welt­li­chen Obrig­keit auf sich: Auf das Täu­fer­we­sen stand die Todes­stra­fe.

Trotz­dem brei­te­ten sich im Ver­bor­ge­nen klei­ne Täu­fer­ge­mein­schaf­ten aus, ins­be­son­de­re in Hol­land. Ein wei­te­res Merk­mal die­ser Grup­pie­run­gen, das sich auf­grund der bru­ta­len Ver­fol­gung immer stär­ker bemerk­bar mach­te, war die end­zeit­li­che Hoff­nung auf eine Wie­der­kehr von Jesus Chris­tus und damit der Anbruch des Tau­send­jäh­ri­gen Reichs (Chi­li­as­mus oder Millenarismus)

Die­se Hoff­nung fand im 16. Jahr­hun­dert einen blu­ti­gen Höhe- oder bes­ser Tief­punkt in der Stadt Müns­ter in West­fa­len. Das dort 1534 ent­ste­hen­de Täu­fer­reich ist ein ein­drück­li­ches Bei­spiel dafür, was geschieht, wenn aus heu­ti­ger Sicht berech­tig­te reli­giö­se Anlie­gen und Posi­tio­nen in Fana­tis­mus und per­sön­li­ches Macht­stre­ben umkippen.

In Müns­ter hat­te sich ein labi­les Gleich­ge­wicht zwi­schen Alt- und Neu­ge­sinn­ten eta­bliert und eine klei­ne Täu­fer­ge­mein­schaft wur­de tole­riert. Doch dank der rhe­to­ri­schen Bega­bung des Welt­pries­ters Bern­hard Roth­mann, der sich vom Luthe­ra­ner zum Täu­fer gewan­delt hat­te, und dank des Zuzugs hol­län­di­scher Täu­fer, ins­be­son­de­re der cha­ris­ma­ti­schen Anfüh­rer Jan Mat­thys und Jan van Lei­den, gelang es den Täu­fern, in der Stadt die Macht an sich zu reissen.

Damit begann das gros­se Dra­ma. Ange­sichts der Bela­ge­rung der Stadt durch den Bischof von Müns­ter Franz von Wal­deck woll­ten die Täu­fer mög­lichst rasch ihre neue Gott geneh­me Gesell­schafts­ord­nung eta­blie­ren. Wer sie nicht akzep­tier­te, wur­de aus der Stadt ver­trie­ben. Eine immer fana­ti­scher wer­den­de chi­lias­ti­sche Hoff­nung, Jesus Chris­tus wer­de gemäss einer Pro­phe­zei­ung von Jan Mat­thys an Ostern die Herr­schaft in der Stadt über­neh­men, zer­brach nach des­sen Tod wegen einem miss­glück­ten Aus­fall, um den Bela­ge­rungs­ring zu durchbrechen.

Sein Nach­fol­ger Jan van Lei­den (Jan Bockel­son) errich­te­te dar­auf­hin ein tota­li­tä­res Regime, das er mit dem Alten Tes­ta­ment zu begrün­den such­te, und liess sich unter dem Namen Johann I. als neu­en König David aus­ru­fen, dem Chris­tus als neu­er Salo­mo fol­gen wür­de. In sei­nem “König­reich Zion” wur­den alle Bücher aus­ser der Bibel ver­brannt, das Geld abge­schafft und die Todes­stra­fe gegen “Abweich­ler” ein­ge­führt. Wegen des mas­si­ven Frau­en­über­schus­ses in der Stadt dekla­rier­te er die alt­tes­ta­ment­lich erlaub­te Poly­gy­nie. Als eine sei­ner 17 Ehe­frau­en ange­sichts der sich aus­brei­ten­den Hun­gers­not sei­nen opu­len­ten Lebens­stil zu kri­ti­sie­ren wag­te, soll er sie eigen­hän­dig hin­ge­rich­tet haben.

Das Täu­fer­reich ende­te im Juni 1535 dank Ver­rat in einem blu­ti­gen Mas­sa­ker durch das Söld­ner­heer des Bischofs. Der Täu­fer­kö­nig wur­de zusam­men mit zwei wei­te­ren Anfüh­rern mona­te­lang als Tro­phäe durch das Bis­tum geführt. Am 22. Juni 1536 ris­sen ihnen die Hen­ker mit glü­hen­den Zan­gen das Fleisch vom Kör­per, stiess ihnen nach einer Stun­de als Erlö­sung end­lich einen  glü­hen­den Dolch ins Herz und stell­ten ihre Lei­chen an einem Kirch­turm in Eisen­kä­fi­gen zur Schau. Sie sind in Müns­ter heu­te noch zu besichtigen.

Das gräss­li­che Schick­sal des Müns­ter Täu­fer­rei­ches hat­te immer­hin wenigs­tens eine posi­ti­ve Fol­ge: Die Täu­fer­ge­mein­schaf­ten in Euro­pa erkann­ten die durch einen fana­ti­sier­ten Aus­er­wähl­ts­glau­ben und  Gewalt­an­wen­dung dro­hen­den Gefah­ren. Das hat ihnen das Über­le­ben bis in die heu­ti­ge Zeit ermög­licht: Man geht von weit über einer Mil­li­on Mit­glie­der welt­weit aus.

In der nächs­ten Fol­ge gehen wir dem Chi­li­as­mus (Mil­lenaris­mus) im Chris­ten­tum über die Jahr­hun­der­te hin­weg etwas genau­er nach, — und dies wie immer am kom­men­den Frei­tag, den 15. Okto­ber.

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