Als dem Philosophen Dieter Thomä anlässlich eines Interviews zu seinem letzten Buch “Warum Demokratien Helden brauchen. Plädoyer für einen zeitgemässen Heroismus” die Frage nach seinem Lieblingshelden gestellt wurde, wehrte er sich dagegen, die Helden immer nur von den Schlagzeilen und aus den Geschichtsbüchern zu nehmen. Es gebe auch die kleinen Helden, deren Heldentum aber keineswegs schrumpfe, — Menschen zum Beispiel, die unter Einsatz ihres Lebens andere retten würden.
Als der Journalist nochmals nachhakte, antwortete Thomä schliesslich: “Dann hiesse mein Lieblingsheld — Sie lachen vielleicht — Wilhelm Tell, so wie ihn Friedrich Schiller gezeichnet hat. Aus mehreren Gründen. Wilhelm Tell hatte den Mut, alleine zu gehen. “Der Starke ist am mächtigsten allein”, sagt er. Er gibt nicht klein bei gegenüber Gessler. Und als der Sieg errungen ist, da zieht er sich zurück. Dann sagt er “wir” und nicht “ich”.” — und fügt gegen Schluss des Interviews noch hinzu: “Die Schweiz operiert mit einem Gründungsmythos, der eng mit dem Heldentum verbunden ist. Sie weiss eben, dass man zur Nation nicht einfach so wird.” (Das ganze Interview hier)
Wenn ein geachteter Professor der Philosophie und Autor mehrerer Beststeller das Thema “Held” als relevant und diskussionswürdig erachtet, lohnt es sich vielleicht, ihm auch im birsfaelder.li ein paar Episoden in lockerer Folge zu widmen.
Geplant sind neben einer Besprechung des erwähnten Buchs ein Blick in zwei weitere Bücher, die sich “dem Helden” widmen, nämlich
— “Der Held — Jeder ist dazu geboren. Die universelle Heldenreise als Prozess der Selbst-Erfahrung” des Psychotherapeuten Lutz Müller
— “A Heroic Life” von Gina Lake, einer amerikanischen Therapeutin
Dass Lutz Müller von einer “universellen Heldenreise” spricht, ist kein Zufall. Er bezieht sich dabei auf die Forschungen von Joseph Campbell, dem weltberühmten Kenner und Erforscher des Universums der Mythologien weltweit. Dabei entdeckte er Parallelen und gleiche Gesetzmässigkeiten zwischen Mythologien verschiedenster Kulturen und Zeitalter. Besondere Aufmerksamkeit erregte sein Buch “A Hero with a Thousand Faces”, auf deutsch “Der Heros in tausend Gestalten”.
Das Muster dieser Heldenreise ist so verbreitet und universell, dass man vom sog. “Monomythos” spricht. Er findet sich in Märchen, in Sagen, in Epen, in Romanen, in Filmen noch und noch, sodass man auf tiefe archetypische Wurzeln und Strukturen schliessen muss.
Beginnen wir also mit Dieter Thomäs Buch. Aus dem Klappentext: “Menschen sehnen sich seit jeher nach Lichtgestalten. Passt das heute noch in unser aufgeklärtes Weltbild? Ja, sagt Dieter Thomä. Er wendet sich gegen diejenigen, die sich in einer postheroischen Gesellschaft einrichten, und zeigt, wie leblos eine Demokratie ist, in der alle gleich sind. Sie tut gut daran, das Heldentum nicht denen zu überlassen, die autoritär oder fundamentalistisch denken. Denn eine Demokratie wird nicht nur von Institutionen zusammengehalten, sondern auch von Individuen, die sich für eine Sache einsetzen, die grösser ist als sie selbst. … In der Suche nach den richtigen Helden — und im Streit um sie — schärft eine demokratische Gesellschaft ihr Profil.”
Soweit, so gut. Wir stehen also vor der Frage, was ein richtiger Held ist — und was nicht. Sind alle Helden gleich, oder kann man sozusagen eine Taxonomie der Helden erstellen? Und wenn ja, wie sieht sie aus?
All diesen Fragen werden wir mit Hilfe von Dieter Thomä in der nächsten Heldenepisode nachgehen, — voraussichtlich in zwei Wochen.
P.S. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass “die Heldin” hier offensichtlich nicht auftaucht. Abgesehen davon, dass ich der Einfachheit halber “Heldinnen” und “Helden” einfach mal unter “Held” subsumiere, werde ich auf die Tatsache, dass man viel seltener von “Heldinnen” spricht, noch detailliert eingehen.
Franz Büchler
Jun 6, 2020
Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat,
desto weniger Helden wird es einmal brauchen.
Franca Magnani
max feurer
Jun 6, 2020
Das ist durchaus richtig. Aber das Konzept der “Heldenreise” geht tiefer: Jeder Mensch — jeder! — geht den Weg des Helden, den Weg zum Helden. Einige brauchen einfach etwas länger, bis sie es merken 😉